Es ging uns etwa so, wie
es Augustinus hinsichtlich seines
Zeitverständnisses zugespitzt formuliert hat: Wenn wir über
Zahlen nicht
nachdachten, glaubten wir zu wissen, was das ist; dachten wir
darüber nach,
wussten wir es nicht mehr. Dieser Zustand war vor allem für unsere persönliche berufliche Situation in der Lehrerausbildung unbefriedigend. Erste Ansätze, ihn zu beheben, liegen über fünfzehn Jahre zurück. Während dieser Zeit formten und klärten sich einerseits unsere Gedanken zu einer systematischen Analyse des ursprünglichen Zahlbewusstseins und machten zugleich deutlich, inwiefern „moderne“ mathematische und psychologische Zahlauffassungen, auch wenn sie von der Fachdidaktik noch so überzeugend anempfohlen werden, für den sogen. Erstunterricht nahezu unfruchtbar bleiben müssen. Aufgrund der langen Bedenkzeit, die wir uns nahmen, wird an diesem Buch kaum Hektik oder Übereiltheit zu bemerken sein. Der Leser wird vielmehr etwas von der Geduld benötigen, die wir selbst aufbringen mussten, um mit uns ins Reine zu kommen: Wir mussten uns von Überliefertem lösen, uns mit unseren andersartigen Gedanken erst selbst vertraut machen und sie auf ihre Tragweite prüfen. Diesen Prozess wollten wir wenigstens indirekt in unsere Darstellungen einfließen lassen. Insofern wird dem Leser nicht ein Lehrbuch mit durchnummeriertem Examensstoff angeboten, sondern er bekommt genügend Gelegenheit, nachdenkend in den vorgetragenen Grundgedanken zu verweilen. Diese werden so ausführlich entwickelt, dass der mitunter eingeblendete ”Formelkram“ im laufenden Text vor allem als Zusammenfassung betrachtet und mitunter übergangen werden kann, ohne im Leser das unangenehme Gefühl zu hinterlassen, etwas Wichtiges nicht mitbekommen zu haben. |
Obwohl Erzieher in Familie und Kindergarten aus der Lektüre des Buches erheblichen Nutzen ziehen können, weil es auch für ihre Belange Grundsätzliches bereitstellt, geht unser Buch in seiner gesamten Anlage über das Interesse eines solchen Leserkreises ziemlich hinaus. Uns liegt die Ausbildung der Grundschullehrer besonders am Herzen. Was sie an Zahlverständnis für ihren Beruf brauchen, kann ihnen durch dieses Buch vermittelt werden. Wir setzen jedoch zusätzlich andere Akzente und eröffnen vor allem andere Perspektiven, als sie durch ein herkömmliches oder ein für Grundschullehrer eigens zurechtgestutztes Mathematikstudium geboten werden. Mit der Grundschulzeit ist das Zahlverständnis längst nicht abgeschlossen. Zwar thematisieren wir seine kontinuierliche Erweiterung und Vertiefung in weiterführenden Schulen hier nicht, sehen aber unsere vorgetragenen Gedanken als so grundlegend an, dass sie auch Lehrern des Gymnasiums hilfreich sein können, diesbezüglich selbst weiterzudenken und zumindest so manche einschlägige Empfehlung in Schulbüchern in Frage zu stellen. Nicht nur aufgrund unserer persönlichen Denk-Situation, sondern vor allem angesichts der kritischen Schieflage des Mathematikunterrichtes aller Schularten – einschließlich der derzeit intendierten Lehrerausbildung – erscheint es uns angebracht, unsere Gedanken über Ursprung und Wandel der Zahl im menschlichen Bewusstsein der Öffentlichkeit vorzustellen. Wir sehen darin auch einen Beitrag, um der suggestiven und schonungslos selektierenden Überfremdung des Denkens entgegenzuwirken, die im Mathematikunterricht leider allzu weit verbreitet ist. […] |